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Samstag, den 22. Oktober 2011 um 10:14 Uhr

Eine (ganz) kleine Geschichte der Bank-IT

Geschrieben von  connormarc

Wenn die Diskussion mit mir selbst innerhalb der letzten 2 Jahre überhaupt Erkenntnisgewinn zu Tage gefördert hat, dann diesen: Bank-Mikrospenden können derzeit technisch nicht realisiert werden. Warum nicht? Unter den zahlreichen, möglichen Erklärungsversuchen sticht besonders diese von Joseph Weizenbaum ins Auge, der im historischen Rückblick auf die Anfänge der „Computerisierung“ eine Art „Schnittstelle“ skizziert, an der tatsächlich für eine gewisse Zeit ein „Richtungswechsel“ und damit tiefgreifende Veränderungen im Verhältnis von Gesellschaft und Technik möglich waren.

Überflüssig zu erwähnen, dass diese Möglichkeit, wenn überhaupt, dann nur unzureichend genutzt wurde.

 

Was Weizenbaum damit meint, wenn er davon spricht, dass der Computer gerade noch „rechtzeitig“ kam, um gesellschafltiche und politische Strukturen intakt zu erhalten bzw. sie sogar noch abzuschotten und zu stabilisieren statt die Chance zu nutzen, sie „radikal“ zu erneuern oder durch an sie gestellte Forderungen „ins Wanken“ zu bringen wird klarer, wenn er seine Ansicht z.B. auf das Prinzip der Fürsorge bezieht:

 

„Man hätte soziale Dienstleistungen wie z.B. die Fürsorge von Menschen verwalten lassen können, die mit ihrer menschlichen Urteilskraft arbeiten, wenn man diese Leistungen so organisiert hätte, daß sie von dezentralisierten, ortsansässigen Bevölkerungsgruppen wie in Nachbarschaften oder in Gebieten mit natürlichen Grenzen wahrgenommen worden wäre. Aber man setzte den Computer ein, um die Verwaltung der sozialen Dienstleistungen zu automatisieren und diese nach politischen Richtlinien zu zentralisieren.“

 

Automatisierung und Zentralisierung kennzeichnen nach Weizenbaum die letzten Jahrzehnte und auch wenn, überträgt man diese Vorstellung auf das regionale Bankwesen, gerade Volks- und Raiffeisenbanken sowie Sparkassen offensiv mit ihren zahlreichen, regionalen Bezügen werben so kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das jeweilige technologische „Herzstück“, das z.T. automatsierte Verteilen von Geld, zentral gesteuert abläuft.

 

Und auch wenn der Umstand, dass z.B. Sparkassen in Deutschland maßgeblich von einer Rechenzentrale aus systemtechnisch „bedient“ werden nur die allerwenigsten Menschen interessieren mag sollte es nicht „veraltet“ sein, an einem theoretischen Modell wie dem der regionalen „Bank-Mikrospenden“ und durch die Brille von Weizenbaum einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, in die Zeit, in der die Frage nach technologisch „zentral?“ oder technologisch „dezentral?“ noch weniger entschieden war als etwa 2011.

 

Denn in einer Zeit, in der Transaktionen zwar schneller und einfacher, die wesentlichen Prozesse bzgl. Bank-IT dabei aber starr und irreversibel verlaufen sind aktuelle Statements von regionalen Banken bzgl. einer möglichen Implementierung von Mikrospenden Sammel-Subsystemen durchaus plausibel und auch nachvollziehbar:

 

"Aktuell ist die technische Voraussetzung für die Umsetzung des Projekts [Mikrospenden] leider nicht gegeben. Als verhältnismäßig kleine Sparkasse besteht für uns keine Möglichkeit, über das zentrale Rechenzentrum der Sparkassen daran kurzfristig etwas zu ändern. Es ist uns allerdings wichtig, alle Möglichkeiten für eine Projektumsetzung auszuschöpfen. Wir haben die Anfrage deshalb an den baden-württembergischen Sparkassenverband, als übergeordnete Stelle, weitergeleitet."

 

oder aber anno 2010:

 

"Mit unseren derzeitigen technischen Systemen lässt sich Ihre Idee [Mikrospenden] nicht umsetzen. Es müssten daher zunächst aufwändige Subsysteme hergestellt werden, die neben der reinen Buchungsfunktion auch unseren strengen Sicherheitsanforderungen entsprechen müssen. Die damit verbundenen Kosten stünden dann aber in keinem sinnvollen Verhältnis zu dem erwarteten Spendenaufkommen."

 

Diese beiden Aussagen von regionalen Banken machen heute nachvollziehbarer, was Weizenbaum schon vor mehr als zwanzig Jahren, so plakativ wie eindrucksvoll dargestellt hat:

 

"Die inzwischen riesigen, polypenhaft verzweigten Informationssysteme der […] Banken oder Versicherungen vergleicht Weizenbaum mit den "favelas" von Rio de Janeiro, jenen chaotisch wuchernden, immer wieder neu zusammengeflickten Hüttensiedlungen, in denen sich nicht einmal die Eingeborenen richtig auskennen.Es sei schlechthin unmöglich, meint Weizenbaum, die ähnlich komplexen, gleichfalls ständig durch Flickwerk veränderten Computersysteme quasi abzureißen und übersichtlich wieder aufzubauen: Sie können nur stillgelegt werden - oder sie müssen mit ihren unausrottbaren Mängeln weiterexistieren, bis sie eines Tages zusammenbrechen.“

 

Zeiten ändern sich und die Diskussion über Bankentechnologie dreht sich heute weitgehend um die Frage, ob denn nun Twitter oder Facebook als Social-Media Kanäle eingesetzt werden oder eben nicht oder ob Bezahlen zukünftig via Mobiltelefon erfolgen soll oder eben nicht . Dies ist in etwas so spannend wie die Frage nach den Protagonisten der nächsten Marketing-Kampagne der Sparkassen aber vielleicht das Einzige was bleibt, wenn die relevanten Fragen der Zentralisierung bzw. Dezentralisierung längst ein für allemal entschieden sind.

 

 

Quelle: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft

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